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29.10.2000
20:30 - 22:30 Uhr

TheaterPorträt.
Südostthüringisches Staatstheater Meiningen
Formel Einzz
Schaupiel von Christian Martin
Uraufführung
Regie: Andreas Neu
Bühne und Kostüme: Ulrike Kunze
Dramaturgie: Matthias Caffier
Musikarrangements: Rudolf Hild

mit Christiane Höfler, Ulrich Kunze, Helge Lang, Michael Pempelforth, Jürgen Petereit, Hans-Joachim Rodewald, Monika Rogge, Stefan Schael, Holger Schmidt, Marianne Thielmann, Barbara Wachholtz und Christian Erdmann, Matthias Herold, Markus Menzel sowie Lena Kämmer/Tim Schulz

 
Am 17. Dezember 1831 wurde das Meininger Herzogliche Hoftheater mit der Oper "Fra Diavolo" von Daniel François Esprit Auber eröffnet. Nach der Einweihung des Hoftheaters wurden jährlich Theatergesellschaften verpflichtet, die Opern und Schauspiele aufführten. 1866 übernahm Georg II. die Regentschaft im Herzogtum Sachsen-Meiningen und zugleich die Leitung des Theaters. Von 1867 bis 1869 war der Dichter und Shakespeare-Übersetzer Friedrich von Bodenstedt als Intendant am Hoftheater engagiert, damit rückten zunehmend Werke von Shakespeare in den Mittelpunkt des Spielplanes. Georg II. strebte eine Erneuerung des deutschen Theaters an. Das Resultat dieser als "Meininger Theaterreform" in die Theatergeschichte eingegangenen Bemühungen waren herausragende und aufsehenerregende Inszenierungen, mit denen die "Meininger" zwischen 1874 und 1890 durch ganz Europa reisten. Insgesamt waren sie zu 81 Gastspielreisen in 37 Städten eingeladen und gaben 2887 Aufführungen von 41 Stücken. 1880 holte Georg II. den berühmten Pianisten und Dirigenten Hans von Bülow nach Meiningen. Mit Bülow begannen die großen künstlerischen Erfolge und die Konzertreisen der Hofkapelle, deren Leitung Richard Strauss mit der Spielzeit 1885/86 übernahm. In der Weimarer Republik und zur Zeit des Dritten Reichs bestand das Meininger Theater als Landestheater. 1945 nahm es als eine der ersten deutschen Bühnen den Spielbetrieb wieder auf. Mit einigen DDR-Erstaufführungen gelangen dem Ensemble Inszenierungen, die für das Theater der Deutschen Demokratischen Republik zum Maßstab wurden. Durch die Wende und die deutsche Vereinigung rückte das Meininger Theater aus seiner einengenden Grenznähe plötzlich in den geografischen Mittelpunkt Deutschlands. Der damalige Intendant Ulrich Burkhardt verstand es, durch einen Um- und Ausbau des Theaters sowohl im Inneren als auch nach Außen die Gunst der Stunde zu nutzen, um aus einem kleinen Provinztheater das Südthüringische Staatstheater entstehen zu lassen. Es zieht heute nicht nur Besucher aus Bayern, Hessen und Thüringen an, auch viele prominente Künstler gaben in den letzten zehn Jahren in Meiningen ihre Visitenkarte ab. Auch das Ballett und ein eigenes Puppentheater genießen überregionale Anerkennung. Auf diesem Fundament konnte Intendantin Christine Mielitz bei ihrem Amtsantritt 1998 aufbauen und das Theater für die gewachsenen Ansprüche der Zuschauer und der neuen Generation profilieren. Das Meininger Theater versteht sich heute in erster Linie als ein Theater für die Region und pflegt einen engen Kontakt zu seinem Publikum, das hohe Erwartungen in dieses Haus setzt.

Mit "Formel Einzz" hat Christian Martin ein schmerzhaft reales Stück über die jüngste deutsche Geschichte geschrieben. Martin ist ein Dramatiker aus dem Vogtland, der Grenzregion zwischen Sachsen, Franken und Thüringen, die von hoher Arbeitslosigkeit gekennzeichnet ist. Ohne viel Hoffnung, mit ungewissen Zukunftsaussichten wird ein Bild der gebeutelten Region gezeichnet. Ein junger Mensch, der Kfz-Mechaniker Franz, wagt den Aufbruch aus dieser verlassenen Welt zum Formel-Eins-Zirkus. Er kehrt nach einigen Jahren in der Großen Welt in sein vogtländisches Dorf Hundsgrün zurück. Hier haben inzwischen die meisten Menschen ihre Arbeit verloren; aber weil Himmelfahrtstag ist, versuchen sie, ihre kleinen und großen Leiden mit Bier "wegzuspülen". Franz hatte das Geld für sein Leben im großen Zirkus mit illegalen Autoschiebereien verdient und wird von der Polizei gesucht. Während seine Kumpels bierselig zur Feier des Tages in einen Ballon steigen und den Weitblick von oben genießen, schachern unten zwei alte Frauen um das Glück ihrer Kinder. Franz hat nämlich seine Jugendliebe Anja wieder getroffen und versucht, sie zurückzugewinnen. Aber seit er sie vor fünf Jahren verlassen hat, gehört sie im Dorf zu den Geächteten, auf die lediglich der neureiche Besitzer eines Autohauses, Zasch, sein Auge geworfen hat. Doch dessen Mutter will die Verbindung genauso wenig, wie deren Großmutter sie mit Franz will. Als Anja trotz ihrer Enttäuschung bereit ist, Franz zu vergeben, geht Zasch gewaltsam gegen den Heimkehrer vor. Am Abend dieses denkwürdigen Tags wird Franz nach einer Sauferei mit den Männern der Skatrunde vor der Kneipe "Zum Grenzquell" von Unbekannten erschlagen; ob von Mafia-Leuten oder dubiosen Grenzschützern, bleibt offen. Seine Kumpels bahren ihn im einstigen Tanzsaal der Kneipe auf. Sie trinken noch ein letztes Bier und gehen weiter ihren abgesteckten Lebensweg, während Anja am verabredeten Treffpunkt vergeblich mit ihrem Kind auf Franz wartet.

"Formel Einzz" ist ein Zeitstück, eine Art Heimatstück mit Deutschem Männerchor. Unter der Regie von Andreas Neu arbeitete das Ensemble des Meininger Theaters die aufmerksamen Beobachtungen des Autors gegenüber psychologischen Entwicklungen und Verwerfungen der Nachwendezeit behutsam heraus. Zwischen Melancholie und Groteske kippten die Bühnenfiguren in eine tragikomische Theaterform. Die Aufführung von "Formel Einzz" hatte beim begeisterten Publikum einen empfindlichen Nerv getroffen.

 
 
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