KULTURPROGRAMM
 
 
 

 

 

 

 

 

Peter Baumgardt
© Foto: Till Budde


Grenzen des Denkens,
der Konventionen
 und Gewohnheiten wurden überschritten,
ein aktuelles Deutschlandbild
über das Zeitgenössische vermittelt.

Es war eine Premiere!

Erstmals präsentierte der Deutsche Pavillon auf einer Weltausstellung ein umfassendes Kunst- und Kulturprogramm. Auf diesem Forum der Welt, der EXPO 2000 in Hannover, stellte sich Deutschland über seine wirtschaftlichen und technischen Leistungen hinaus auch mit seiner vielfältigen Kultur dar. Und das permanent: 153 Tage lang, von morgens bis in die Nacht. Die ganze Aufmerksamkeit galt einer Kunst, die gegenwärtig entsteht. Das Bekannte und Vorhersehbare blieb außen vor.

August Everding, bis zu seinem Tod künstlerischer Gesamtleiter des Deutschen Pavillons, war der Initiator des Kulturprogramms. Ihm ist es auch zu verdanken, dass wir im Deutschen Pavillon einen Ort schaffen konnten, der sich von der Hektik unserer Zeit und von der Betriebsamkeit der EXPO abhob. Im multifunktionalen, intimen ”August Everding Saal” entwickelten wir ein Programm auf kleinem Raum. Ohne architektonische Barrieren oder andere Formen von Distanz wurde der direkte Kontakt zwischen Künstlern und Publikum, wurden neue, vor allem andere als übliche Begegnungen ermöglicht. Hier wurde Platz geschaffen für Entdeckungen auf beiden Seiten. Komponisten und Autoren, Regisseure und Choreographen, Bühnen- und Kostümbildner kreierten Originäres in Zusammenspiel von Sprache, Musik, Raum und Bild.

Es entstanden Kammermusikwerke, Raumklangprojekte, elektronische Kompositionen, Klavierlieder, Kammeropern, Theater- und Tanzstücke, Performances, Texte und Projekte vieler Art sowie Installationen bildender Künstler.
Durch die einzigartige Atmosphäre gelang es, eine andere Welt zu öffnen, in die wir den Besucher entführten  - auf eine Insel der Stille und Konzentration. Auf dieser regten wir an und auf, bewegten, unterhielten und rückten für ein besseres Verständnis das ins Bewusstsein, was nicht den Hör- und Sehgewohnheiten entspricht. Wir erprobten neue Wahrnehmungsweisen und lenkten den Blick auf Themen, die uns zukünftig wichtig sein werden. In alles in allem 765 durchgeführten Veranstaltungen wurden Tradition und Moderne verbunden, stand größtenteils die Hinwendung zur kommenden Generation im Zentrum, wurde Historisches reflektiert. Es entstanden 127 Auftragswerke im Kontext zur Tradition, aufgeführt ebenso wie elf Erstaufführungen im Kontrast zur Konvention.

Und noch eine Premiere: die Länderwochen. Denn zum ersten Mal präsentierten sich die Bundesländer primär mit einem kulturellen umfangreichen und vielfältigen, aber individuell gestalteten Tagesprogramm, das regionale Aspekte innerhalb der Länder betonte, ihre eigene Identität vermittelte. Die Präsentation von Wirtschaft, Tourismus sowie politische Statements standen nicht - wie während der Länderwochen vorhergehender Weltausstellungen üblich - im Vordergrund.

Das Angebot spiegelte das föderative Prinzip der Kulturhoheit der Bundesländer wider. Dadurch wurde auch der jeweilige Stellenwert der Kultur des Landes deutlich. Eine enzyklopädische Vollständigkeit auszubreiten, war nicht beabsichtigt, vielmehr galt es, dem nur kurze Zeit verweilenden Besucher ein abwechslungsreiches Bild zu vermitteln.

Die Abendprogrammpunkte standen durch ihre Thematik oder durch die Herkunft der Künstler fast immer in Bezug zu den Ländern. Sie bildeten mit dem Tagesprogramm eine Einheit.

Die rund 1,5 Millionen Besucher, davon fast 200.000 in den Programmen unserer zentralen Projekte, Reihen und Festivalwochen, was einer Platzausnutzung von annähernd 90 % entspricht, fanden ihre individuellen Anstöße: zum Betrachten und Hinterfragen, Wahrnehmen und Suchen und um darüber zu sprechen. Das Publikum war neugierig und nicht alt-gierig, enthusiastisch, kritisch, aufgeschlossen und diskussionsbereit.

Viele neue Namen und junge Gesichter meldeten sich zu Wort, sangen, spielten, tanzten und setzten sich mit gesellschaftlich wie politisch, auch rein künstlerisch relevanten Themen auseinander. In Gesprächen und Podiumsdiskussionen überprüften Künstler und Publizisten das zum “Klassiker” gewordene auf seine Aktualität und Tragfähigkeit, hier fand ein Austausch über Erfahrungen statt, wurden Visionen gewagt.

Dem Experimentellen, Unvertrauten und dem Neuen nachzuspüren, die leisen Töne, nicht das große Event zu suchen, das war das Konzept des Kulturprogramms Deutscher Pavillon für eine Reise durch Deutschlands lebendige Kulturlandschaft. Die Repräsentation des Etablierten, Gewohnten und Prominenten hätte behindert, gar verhindert, Entdeckungen und Erfahrungen zu machen. Wir weckten das Interesse für das, was heute Tag für Tag in unserem Land entsteht, im alltäglichen Kulturbetrieb aber nur punktuell einen Platz findet und so auch nur partiell wahrgenommen wird.

In unkonventioneller und origineller Darstellungs- und Vermittlungsform wurde eben jene Kultur dem Besucher näher gebracht, die oft genug durch den Anschein des Elitären und ihre Spezialisierung unnahbar und kompliziert wirkt.

Ein Forum der zeitgenössischen Kunst entstand, das deutlich machte: Deutschland ist kein Museum, sondern eine Werkstatt.

Peter Baumgardt
 

 

 
 
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