Konrad Zuse
*22.10.1910 Berlin +18.12.1995 Hünfeld

Phantasie ist die Grundvoraussetzung allen Fortschritts

Der erste Computer präziser, die erste "vollautomatische, programmgesteuerte und frei programmierbare, in binärer Gleitpunktrechnung arbeitende Rechenanlage", genannt Z3, stand betriebsfertig 1941 in Berlin.

Sein Steckbrief

Z3

Aus K. Zuse: "Der Computer - mein Leben", S. 55

Geistiger Schöpfer dieses ersten Computers der Welt war ein junger Ingenieur, der schon früh seine Spekulationen über ein zu entwickelndes "mechanisches Gehirn" zu Papier bringt und unter abenteuerlichen Umständen seine Vision verfolgt. Die Voraussetzungen waren nicht günstig, denn Zuse hatte, als er mit der Arbeit an seinem Computer begann, "weder etwas von Rechenmaschinen verstanden, noch je etwas von Babbage gehört". (Charles Babbage hatte hundert Jahre zuvor entscheidende Vorarbeiten für die Konstruktion eines Computers geleistet, war aber mit seiner "Differenzmaschine" an der mangelnden technischen Realisierbarkeit - es gab noch keine Elektromechanik - gescheitert und später völlig in Vergessenheit geraten. Auch die strengen deutschen Patentamts-Prüfer hatten nie etwas von ihm gehört).

Einen wissenschaftliche Austausch gibt es nicht - schließlich ist bald alles "geheim" - z.B. erfährt Zuse erst durch die Tochter eines Buchhalters, die im deutschen Geheimdienst arbeitet, dass offenbar auch in Amerika an einer "Rechenmaschine" gearbeitet wird. Das Foto, das sie zu sehen bekommen, gibt allerdings keinen weiteren Aufschluss. Es ist nur zu vermuten, dass dieser Rechner - es handelt sich um die MARK I des Harvard Professors Aiken – analog nach einem "sequence controlled calculation"- Verfahren arbeiten müsse. Genaueres allerdings erfahren sie erst nach dem Krieg. Die Arbeiten Alan Turings, der mithalf, die deutsche Chiffriermaschine ENIGMA zu knacken, werden erst zu spät bekannt. Die Errungenschaften des "potentiellen Kollegen" Dr. Dirks, der unabhängig von Schreyer und Zuse elektronische Rechengeräte entwickelt und hauptsächlich auf dem Gebiet des Magnetspeichers arbeitet, bleiben unbekannt.

Keine der offiziellen Stellen, denen Zuse seine Computer vorstellt, begreift das Potential, das in der Erfindung steckt. Als die Eigenfrequenzen bei Flugzeugen zu Flattereffekten und Abstürzen führen, bekommt ZUSE eine Möglichkeit, seine Rechenkünste zu erproben. Die Berechnung der kritischen Frequenzen erfordert einen großen Rechenaufwand. Die "Flatterfachleute" zeigen daher Interesse, und Zuse konstruiert das Spezialmodell für die Flügelvermessung S1, das diese Berechnungen vollautomatisch ausführt. (Es war etwa zwei Jahre ununterbrochen in Betrieb und wurde durch Bomben 1944 zerstört.) Die Flügelvermessung regt ihn zu einem weiteren Gedanken an: das Ablesen von Mess-Uhren musste sich ebenfalls mechanisieren lassen. Damit war die Idee des Prozessrechners geboren. Aber so, wie sich "keine Menschenseele" für die Prozessteuerung interessiert, kann sich auch niemand den wirtschaftlichen Nutzen dieser Geräte vorstellen. Im Grunde gilt alles als "Phantasterei". Die argwöhnischen Hersteller herkömmlicher Rechenmaschinen sehen in ihm eine Konkurrenz. Die Mittel, die Zuse zur Verfügung stehen, sind bescheiden: die ersten Relais werden aus alten Telefonen ausgebaut, Bauelemente und Schrittschalter werden bei Altwarenhändlern gekauft. Erst als nach der Z1 die Z2 schon gebaut ist und bei einer Vorführung die Relais zu klickern und klappern beginnen, die Drehwähler und Programmwalzen stampfen und rattern und schließlich ein exaktes Ergebnis hervorbringen, entscheidet sich die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt, die Teilfinanzierung des Nachfolgemodells Z3 zu übernehmen. Die offiziell als nicht dringlich eingestufte Z3 wird mehreren Dienststellen vorgeführt, aber nie im Routinebetrieb eingesetzt. 1944 wird sie durch Bombardierung zerstört. Ihr Nachbau (1960) steht heute im Deutschen Museum

Die meisten seiner Rechenmaschinen - der Begriff "Computer" setzt sich erst spät durch - werden durch Bomben zerstört. Nur die tonnenschwere Z4 wird gerettet und landet nach einer wochenlangen Irrfahrt in einem Allgäuer Pferdestall. Die wundersame Errettung der Z4, die damals noch Versuchsmodell 4 heisst, ist - Ironie der Geschichte - nur dank der Verwechslung mit den gleichklingenden "Vergeltungswaffen" V1 und V2 möglich gewesen.

Wie hatte diese Geschichte begonnen? Mit 18 war es Zuses Ziel gewesen, einmal Ingenieur zu werden, doch Zuse ist auch ein begabter Zeichner, und eine Zeitlang streitet sich der Ingenieur in ihm mit dem Künstler. Nach dem Vorexamen verfällt er auf die Idee, Reklamezeichner zu werden und lässt sich für ein Jahr beurlauben. Reumütig kehrt er danach zu seinem Bauingenieur-Studium wieder zurück. Nach dem Studium wird der Ingenieur Z. 1935 Statiker bei den Henschel-Flugzeug-Werken, eine freudlose Arbeit. Aber "ich gab diese Stelle bald auf und richtete mir eine Erfinderwerkstatt in der Wohnung meiner Eltern ein ... Ich wollte mich ganz dem Computer widmen können." Die Eltern sind vom Vorhaben ihres Sohnes, Computererfinder zu werden, nicht gerade begeistert, unterstützen ihn jedoch. Das größte Zimmer in der Wohnung darf er benützen, um seine klobigen Apparate aufzubauen. An der Beschaffung der notwendigen Materialien beteiligen sich ein paar Studienfreunde; sein erster "Financier" ist ein alter Schulfreund. Alle geben Geld, soweit sie können oder helfen in der Werkstatt mit.

Sein schon pensionierter Vater lässt sich wieder für ein Jahr reaktivieren, seine Schwester steuert einen Teil ihres Gehaltes bei. Vielleicht leuchten einigen die Vorzüge des Dualsystems für die Kommandosprache ein, sie verstehen aber nicht unbedingt, wie das Speicherwerk dieser "utopischen Maschine" arbeitet – aber alle glauben an "Kuno" und arbeiten "blind" an dem Monstrum mit, das da entsteht. Als der Film "King Kong" anläuft und Anlass für eine sog. "Mimik", einen stummen, studentischen Theaterklamauk bietet - Zuse selbst ist ein grosser Grimassenschneider -, gibt sein Kommilitone Helmut Schreyer die Rolle King Kongs so überzeugend, dass Zuse ihn in seine Werkstatt einlädt. Als Schreyer die seltsamen Bleche sieht, äußert er spontan: "Das mußt du mit Röhren machen!" Die vermeintliche Schnapsidee Schreyers - mit Röhren baute man Radioapparate und keine Rechenmaschinen - sollte sich als eine der fruchtbarsten der Computerentwicklung erweisen. (Die Idee, Röhren für Rechenmaschinen zu verwenden, tauchte damals auch bei den Amerikanern auf, ohne dass dies bekannt war. Zur selben Zeit, wie Zuse in Deutschland, beginnen in den USA z.B. Aiken, Stibitz und v. Neumann, die ebenso wie er keine Fachleute auf dem Gebiet der Rechenmaschinen-Technik sind, sich mit Computern zu beschäftigen).

In dieser Zeit weist ihn sein alter Mathematiklehrer auf den sog. "Aussagekalkül" hin, den Kalkül der mathematischen Logik - die Boolesche Algebra war damals in Deutschland wenig bekannt - und Zuse, der den Kalkül mathematisch exakter durchgearbeitet findet als seine "Bedingungskombinatorik", kann damit die recht komplizierten arithmetischen Operationen in gleitende Kommas schaltungsmässig lösen, was er bei der Z1 erfolgreich anwendet. Zuse steht mit diesen Überlegungen alleine da - für die Idee der programmgesteuerten Rechenmaschine konnte er noch Verständnis unter einigen Fachkollegen finden, aber jeder bezweifelt, dass so eine Maschine wirklich funktionieren würde.

Z. war beim Studium der Addierwerke auf die Idee gekommen, alle Angaben - wir würden heute sagen "Informationen" - mit Ja-Nein-Werten aufzulösen und konnte dieses Prinzip auf alle Komponenten der Rechenmaschine insbesondere die Steuereinrichtung übertragen. Das führte dann zur "Schaltalgebra" unter Anlehnung an den Aussagenkalkül. Was auf diese Weise an Steuerungsvorgängen formal erfasst wird, ist keine Zahlenrechnung mehr und Zuse stellt die Frage: Lassen sich durch solch eine Theorie des allgemeinen Denkens Rechenvorgänge oder formale Zusammenhänge erfassen, die diesen zugrunde liegen? Er prägt dafür den Begriff "angewandte Logistik" - wofür wir heute "künstliche Intelligenz" sagen würden.

Noch während der Arbeit an den mechanischen Modellen nimmt allmählich die Idee der elektronischen Rechenmaschine Gestalt an. Der genialische Schreyer, der auch Fernmeldefachmann ist, hilft Zuse, die mechanische Relaismaschine in eine Anordnung von Elektronenrelais umzuwandeln. Schreyer sieht allerdings beim damaligen Stand der Halbleiterentwicklung keine andere Lösung, als mit Glimmlampen zu arbeiten, die zwar träge sind, aber doch immerhin 5-10.000 Schaltungen pro Sekunde ermöglichen. Er baut durch geschickte Kombination von Röhren und Glimmlampen eine kleine Relaiskette auf. Als Zuse 1938 in kleinem Kreis an der TU Berlin die Versuchsschaltung vorführt und dabei auch das Problem der elektronischen Röhren vorträgt, wobei seiner Meinung nach etwa 2000 Röhren und einige tausend Glimmlampen erforderlich wären, gilt dies als Phantasterei - hätten doch die stärksten Sendeanlagen nur einige hundert Röhren!

Zuse, der eine Teilbeschäftigung als Statiker bei den Henschel-Flugzeugwerken hat, nutzt den Spielraum, um mitten im Krieg seine "Zuse Ingenieurbüro und Apparatebau Berlin" zu gründen. 1942 beginnt Zuse mit dem Bau der Z4, die allerdings noch ganz auf die Elektromechanik abgestellt ist. Nur selten kann sich Zuse von der Maschine lösen und muss Bombenangriffe ohne Schutzkeller überstehen. Nur einfachste Mittel stehen zur Verfügung, das Gerät wird zum größten Teil aus Altmaterial gebaut, die Daten der Wicklung des Relais sind uneinheitlich, unterschiedliche Spannungen müssen benutzt werden, die Herstellung der Programme ist noch primitiv. Da eine handelsübliche Lochstreifenqualität während des Krieges nicht erhältlich ist, behilft sich Zuse mit selbstgebauten Loch- und Lesegeräten und benutzt - eine Idee Schreyers – Filmstreifen, die mit einem einfachen Handlocher gelocht werden.

Mitten in der Gründungsphase muss Zuse einen weiterentwickelten Flügelvermessungs-Computer in einem ausgelagerten Betrieb der Henschel-Flugzeugwerke im Sudetenland aufbauen. Als wegen der den heranrückenden Russen der Befehl zur Demontage kommt, arbeitet Zuse weiter - besessen von dem ehrgeizigen Wunsch, dieses Gerät wenigstens einmal in Betrieb zu erleben. Schließlich ist es vollbracht, die erste Prozessteuerung im Computer bewährt sich. Zuse muss aber die S2, die zu den "drei oder vier funktionsfähigen Computern der Welt" gehört, einem unbestimmten Schicksal überlassen. Er erhält dafür ein Patent, das aber nur auf die Mess-Uhren abzielt. Schreyer und er waren nicht auf die entscheidende Idee gekommen, die direkte Verbindung zwischen Analog-Digital-Wandler und einem Rechengerät anzumelden. Möglicherweise hätten sie damit die gesamte Prozessteuerung patentrechtlich schützen können!

Ende 1944 werden noch die Schaltungen für die Z4 ausgearbeitet, 1945 werden die wichtigsten Teile funktionsfähig gemacht. Im Januar heiratet Zuse eine ehemalige Mitarbeiterin, mit der er fünf Kinder hat. Ironischerweise versorgen die abgeschossenen amerikanischen und englischen Bomber die Rechenbauer mit Widerständen, kleinen Wickelkondensatoren, modernsten Kleinröhren, Drehkondensatoren usw. Manchmal bleibt auch nichts anderes übrig, als sich nach einem Fliegeralarm von einer herabhängenden Straßenbahnoberleitung 50 cm abzuknapsen, um Bronze mit hohem Kupferanteil zu erhalten. Bleche müssen mit der Hand ausgesägt werden und jeder, egal ob Programmierer oder Sekretärin, nimmt selbstverständlich den Lötkolben in die Hand. Die Firma hat mittlerweile an die zwanzig Mitarbeiter. Da keine wehrtauglichen Mathematiker frei sind, lässt sich Zuse von der Marburger Blindenlehranstalt die Adressen mathematisch begabter Blinder geben - der erste Programmierer der Welt ist blind und trägt den Namen Faust. In den letzten Kriegstagen wird die Z4 nach Göttingen gebracht - 14 Tage lang ist das Monstrum auf der stark bombardierten Strecke auf einem LKW unterwegs.

Schließlich gelingt es Zuse und einigen Mitarbeitern, einen Marschbefehl nach Bayern und 1000 Liter Diesel zu bekommen. Am Oberjoch bei Hindelang finden sie ein vorläufiges Quartier, das sie mit Werner v. Braun und einer Schar seiner Mitarbeiter teilen. Der erste Computer der Welt ist ohne Arbeit. "Wir hätten allenfalls die Fettgehaltsberechnung der dortigen Sennerei übernehmen können", erinnert sich Zuse sarkastisch, während in den USA der Aufbau der Computerindustrie mit enormen Mitteln vorangetrieben wird und das Wort vom "Elektronenhirn" die Medien elektrisiert. In der erzwungenen Stille beschäftigt er sich mit liegengebliebenen wissenschaftlichen Arbeiten zur Programmiersprache. Anstelle des Begriffs "Vorschrift" tritt nun der heute bekannte "Algorithmus", das Wort "Programm" war damals noch unbekannt, statt dessen sagt Zuse "Rechenplan" und nannte das ganze "Plankalkül". Heute lässt es sich als erste algorithmische Sprache einordnen. Diese Arbeiten entstehen in den Jahren 1945/1946; gleichzeitig arbeiteten in der USA Goldstine und v. Neumann an der Theorie der Programmierung und leisteten hier Vorarbeit. Die grundsätzliche Idee, formale algorithmische Sprachen zu entwickeln, wurde ungefähr zehn Jahre später aufgegriffen – die Programmiersprachen FORTRAN, ALGOL und COBOL entstanden zwischen 1955 und 1960. Auf numerische Rechnungen zugeschnitten, entsprachen sie sonst weitgehend dem "Plankalkül", aber anders als bei den eingeführten Programmiersprachen, die nicht ihren Compiler bilden konnten, war der "Plankalkül" so angelegt, dass er diese Forderung bereits erfüllte.

Die Bilanz in der Computerentwicklung unmittelbar nach Kriegsende sieht so aus, dass den Rechnern Z1-Z4 das sog. MODELL V, ein Relaisrechner im Binärsystem, der bei der Firma Bell unter der Leitung von Stibitz entwickelt worden ist, am nächsten kommt. Das Gerät S2 war singulär und hatte keine Entsprechung in den USA – und nach Zuses Kenntnis hatten die USA zu diesem Zeitpunkt auch keine dem "Plankalkül" entsprechende Sprache. Dem in den USA gebauten und mit 18.000 Röhren ausgestattete Rechenmonster ENIAC stand nur ein im Krieg zerstörtes Versuchsmodell gegenüber, das allerdings, wie Zuse bemerkt, der ENIAC insofern überlegen war, als hier erstmals bewußt mit logischen Bauelementen nach dem Prinzip der "Schaltalgebra" gearbeitet wurde.

1947 – Zuse war endlich in den Besitz eines Fahrrades gelangt – gründet er die "Zuse-Ingenieurbüro in Hopferau bei Füssen". Nach kurzer Zeit kommen schon erste Kontakte mit dem Ausland zustande. Einem Mitstreiter gelingt es, Thomas Watson, den Chef der IBM für die Z4 zu interessieren. Zuse erhält einen Optionsvertrag, muss aber zu seinem Leidwesen feststellen, dass die IBM nur an den Schutzrechten interessiert ist. Die Z4 weiterzuentwickeln erschien den Amerikanern als "perfectly foolish ... auch bei IBM glaubte man noch nicht an die Zukunft des Computers". Von der Remington Rand erhält die Firma wichtige Entwicklungsaufträge, aber für sog. "Rechenlocher" mit mechanischer Schaltgliedtechnik, die Zuse schon vor dem Krieg aufgegeben hatte. Um die Rechengeschwindigkeit zu erhöhen, erfindet Zuse das sog. "Pipelining-Prinzip", das heute als amerikanische Errungenschaft gilt.

Eines Tages erscheint Prof. Stiefel von der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH aus Zürich, um die Z4 in Augenschein zu nehmen. Er diktiert eine einfache Differentialgleichung, die Zuse sogleich programmiert und auf der Maschine lösen kann. Danach mietet die ETH Zürich die Z4 an und schafft damit eine Basis für den Neuaufbau der Firma; 1949 zieht die "ZUSE KG" nach Neukirchen bei Hessen um. Die Z4 arbeitet so zuverlässig in Zürich, dass man sie nachts unbewacht durchlaufen ließ. "Immerhin", bemerkt Zuse, "besaß das verschlafene Zürich durch die ratternde Z4 ein wenn auch bescheidenes Nachtleben". Fünf Jahre versieht die Z4 dort ihren Dienst, bis sie ausrangiert wird.

Zunächst kann sich die ZUSE KG dank der Erfolge mit den Geräten Z11, Z22, Z23 und dem Zeichentisch Z64 ("Graphomat") schnell entfalten und gilt in Deutschland als der Konkurrent der IBM. Um 1960 werden die Verhältnisse kritisch. Zwei Teilhaber scheiden aus und müssen ausbezahlt werden. Eine staatliche Förderung der Datenverarbeitung gibt es nicht. Auch gab es - anders als bei den Amerikanern - keine militärischen Entwicklungsaufträge, aus denen sich zivile Produkte abzweigen ließen. Eine Kreditaufnahme ist nahezu unmöglich, da die Finanzierung von Entwicklungsrisiken nicht zum Bankgeschäft gehört. Mit dem Wachstum der ZUSE KG, die in der Blütezeit mehr als 1.000 Mitarbeiter zählt, wachsen auch die finanziellen Schwierigkeiten – schließlich muss Zuse froh sein, 1964 einen Käufer in Gestalt der BBC AG Mannheim zu finden. Seit 1967 gehört die Firma vollständig zur Siemens AG und der alte Firmenname wurde gelöscht.

Zuse war nach zwanzig Jahren wieder frei für die Wissenschaft. Er widmet sich erneut dem Software-Problem und nimmt sich wieder den "Plankalkül" hervor. Da die anderen Programmiersprachen inzwischen aber bereits zu sehr Fuß gefasst haben, kann er, was den praktischen Einsatz betrifft, nichts mehr bewirken. Zuse fühlt sich berufen, die Kluft zwischen der "Informationstheorie" und der "Automatentheorie" zu überbrücken. Er entwickelt dabei die Idee des "rechnenden Raumes" weiter – der Kosmos wird hier quasi als eine gigantische Rechenmaschine gedeutet -, fest davon überzeugt, dass sich "so oder so die Digitalisierung der theoretischen Physik durchsetzen wird." Eine dritte Idee aus seiner randvollen Schublade sind die "Sich-selbst-reproduzierenden Systeme". Zuse strebt allerdings - anders als sein Gegenspieler v. Neumann, der diese Idee rein theoretisch mathematisch behandelt - eine praktische Verwirklichung an. Zuse erhält vom Bundes-Forschungsministerium einen Auftrag über eine Durchführbarkeitsstudie und baut in seiner Werkstatt ein kleines Modell. Aber: "Meine Bemühungen etwas für die Automatisierung zu tun, bevor wieder Amerikaner und Japaner das Rennen machten, hatten.. leider wenig Erfolg."

Dafür wächst die Anerkennung stetig, die Zuse für seine Pionierarbeit zuteil wird. Zuerst verleiht ihm die TU Berlin die Würde eines Dr. Ing. E.h., Jahre später folgen Ehrendoktorhüte der Universitäten Hamburg und Dresden, die Verleihung des Werner-von-Siemens-Ringes, die Stiftung der Konrad-Zuse-Medaille u.a.m.

Bis zuletzt ist Zuse tätig. Er entwirft z.B. ein sich bei Sturm selbst demontierendes Windrad, stellt unter dem Pseudonym Kuno See seine Bilder aus und schreitet mit seinen Ideen gerne von der Phantasie zum Phantastischen fort. So denkt er über "kybernetische Organismen" nach und beschäftigt sich mit der Frage: "Werden wir in Zukunft unsere Häuser wie biologische Keimzellen pflanzen, sie begießen und düngen, bis sie nach unseren Wünschen gewachsen sind, so wie wir Bäume pflanzen begießen und düngen?" Wieder einmal ist er seiner Zeit weit voraus, wissend, wie er indirekt Bohr zitiert, "dass keine Hoffnung auf Spekulationen besteht, die nicht auf den ersten Blick verrückt erscheinen".

© BPA/Richard von Schirach

* Die Abbildungen wurden mit freundlicher Genehmigung des Springer-Verlags Heidelberg reproduziert.