Sophie Scholl
* 9.5.1921 Forchtenberg
+ (hingerichtet) 22.2.1943 München-Stadelheim

Ich würde alles genau noch einmal so machen

Sophie Scholl wächst in einem betont liberalen Elternhaus auf und wird bereits 1937 - noch als Schülerin - wegen des Engagements ihres Bruders Hans in der zivilisationskritischen bündischen Jugend von der Geheimen Staatspolizei vernommen. Nach dem Abitur im März 1940 macht sie eine Ausbildung als Kindergärtnerin und beginnt nach dem Arbeits- und "Kriegshilfsdienst" im Mai 1942 in München mit dem Studium der Biologie und Philosophie.

Um sie und ihren Bruder Hans findet sich hier im Sommer 1942 eine Gruppe von Studenten zusammen, die sich der totalen Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus entziehen und ihre geistige Unabhängigkeit bewahren will. Dazu gehören Willi Graf, Alexander Schmorell und Christoph Probst. Im Juni 1942 verfassen Hans Scholl und Alexander Schmorell die ersten vier Flugblätter der Weißen Rose. Diese Flugblätter klären mit dem Verweis auf christliches und klassisches Gedankengut über die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen auf und ermuntern zum passiven Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime. Die Flugblätter, die unter großen Schwierigkeiten illegal versandt werden, wenden sich vor allem an Intellektuelle und politische Entscheidungsträger.

Eine zentrale Rolle nimmt in diesen Flugblättern die Aufklärung über die Verbrechen im Hitler Deutschland ein, sowohl gegenüber anderen Völkern als auch dem eigenen Land. So spricht das erste Flugblatt von der "Tatsache, dass seit der Eroberung Polens 300 0000 Juden in diesem Land auf bestialische Art ermordet worden sind. Hier sehen wir das fürchterlichste Verbrechen an der Würde des Menschen." Heftige Kritik erfuhr das Schweigen der großen Mehrheit der Deutschen gegenüber diesen Verbrechen: "Vergesst nicht, dass ein jedes Volk diejenige Regierung verdient, die es erträgt. Ein Sieg Hitlers in diesem Krieg müsse unbedingt verhindert werden, denn dies habe unabsehbar fürchterliche Folgen." Um dieser Entwicklung zu wehren erfolgte der Aufruf "wider die Geißel der Menschheit, wider den Faschismus und jedes ihm ähnliche System des absoluten Staates, passiven Widerstand (zu leisten)."

Notwendig sei, über die Wirklichkeit Deutschland und die Politik seiner Machthaber aufzuklären mit dem Ziel ihres Sturzes, denn jeder einzelne Mensch habe einen Anspruch auf einen Staat, der die Freiheit des einzelnen als auch sein Wohl sichert. Da der Staat Hitlers unendliche Schuld auf sich gezogen hat, müsse er zerstört werden. Das 4. Flugblatt hob besonders die Verantwortung des Christen hervor: "Hat Dir Gott nicht die Kraft und den Mut gegeben zu kämpfen? Wir müssen das Böse dort angreifen, wo es am mächtigsten ist. Und es ist am mächtigsten in der Macht Hitlers."

Die Münchener Studentengruppe wird entscheidend durch den katholischen Publizisten Carl Muth, aber auch durch ihren Hochschullehrer Kurt Huber geprägt. Als die Studenten im Wintersemester 1942/43 mit ihm Grundfragen der politischen Ordnung diskutieren, hat die Schlacht um Stalingrad gerade ihren Höhepunkt erreicht. Unter dem Eindruck der sinnlosen Leiden, die der Krieg fordert, und in Erwartung der westalliierten Landung rufen die Freunde um Hans und Sophie Scholl nun mit Wandparolen, aber auch mit Flugblättern zum Sturz des NS-Systems und zum Widerstand gegen Hitlers Kriegführung auf. Zugleich versuchen sie, Kontakte in andere Städte, etwa nach Ulm und Hamburg, auszubauen.

Während ihre Freunde im Sommer 1942 als Medizinstudenten in einer Sanitätskompanie an der Ostfront eingesetzt sind, muss Sophie Scholl im August und September 1942 im "Kriegshilfsdienst" in einem Ulmer Rüstungsbetrieb arbeiten. Im November 1942 schreibt sie: "Die Unsicherheit, in der wir heute dauernd leben, die uns ein fröhliches Planen für den morgigen Tag verbietet und auf alle die nächsten kommenden Tage ihren Schatten wirft, bedrückt mich Tag und Nacht und verlässt mich eigentlich keine Minute. Wann endlich wird die Zeit kommen, wo man nicht seine Kräfte und all seine Aufmerksamkeit immer nur angespannt halten muss für Dinge, die es nicht wert sind, dass man den kleinen Finger ihretwegen krümmt?"

Im Januar 1943 beteiligt sie sich an der Herstellung und Verbreitung des fünften Flugblattes der Weißen Rose, das nun als "Aufruf an alle Deutsche!" den Obertitel "Flugblätter der Widerstandsbewegung in Deutschland" trägt: "Deutsche! Wollt Ihr und Eure Kinder dasselbe Schicksal erleiden, das den Juden widerfahren ist? Wollt Ihr mit dem gleichen Maße gemessen werden, wie Eure Verführer? Sollen wir auf ewig das von aller Welt gehasste und ausgestoßene Volk sein? Nein! Darum trennt Euch von dem nationalsozialistischen Untermenschentum!"

Das sechste Flugblatt der Gruppe nach einem Entwurf von Kurt Huber, das sich vor allem an die Münchner Studenten wendet, ist von ihren Freunden bereits vervielfältigt worden, als Sophie Scholl nach einem Besuch in Ulm am 15. Februar 1943 nach München zurückkehrt.

Am 18. Februar 1943 legen Hans und Sophie Scholl Hunderte von Exemplaren des sechsten Flugblattes in der Münchener Universität aus und werfen sie dort auch in einen Lichthof. Sie werden von einem Hausmeister beobachtet, festgehalten und der Polizei übergeben. In einem Verhör erklärt Sophie Scholl der Geheimen Staatspolizei: "Als weiteren und schließlich als hauptsächlichsten Grund für meine Abneigung gegen die [nationalsozialistische] Bewegung möchte ich anführen, dass nach meiner Auffassung die geistige Freiheit des Menschen in einer Weise eingeschränkt wird, die meinem inneren Wesen widerspricht. Zusammenfassend möchte ich die Erklärung abgeben, dass ich für meine Person mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun haben will [...] Es war unsere Überzeugung, dass der Krieg für Deutschland verloren ist, und dass jedes Menschenleben, das für diesen verlorenen Krieg geopfert wird, umsonst ist. Besonders die Opfer, die Stalingrad forderte, bewogen uns, etwas gegen dieses unserer Ansicht nach sinnlose Blutvergießen zu unternehmen."

Schon am zweiten Tag der Verhaftung musste Sophie Scholl klar geworden sein, dass sie mit einer Hinrichtung zu rechnen hat. Opferbereit und charakterstark versucht sie, mit letzter Hingabe noch ihren Bruder zu entlasten und alle Schuld auf sich zu ziehen. Die Verhandlung, an deren Ausgang kein Zweifel besteht, wird am 23. Februar 1943 vom Vorsitzenden des Volksgerichtshofs Freisler geführt, der im blutroten, gold-verzierten Ornat hämisch-pathetisch die Anklage formuliert. Unerschrocken hält Sophie Scholl einmal dagegen: "Was wir schrieben und sagten das denken sie alle ja auch, nur haben sie nicht den Mut, es auszusprechen." Das Urteil, Tod durch das Fallbeil, sollte noch am gleichen Tag vollstreckt werden.

Alle, die in den letzten Tagen mit ihr noch in Berührung kamen, Mitgefangene, Gefängnisgeistliche, selbst Gestapobeamte, waren von ihrer Tapferkeit und der Größe ihrer Haltung tief berührt. "Lieblich und tapfer" nennt sie später der Vernehmungsbeamte, der sich der Würde und Gelassenheit, die von ihr ausgehen, nicht entziehen kann. "Ein lautloser Triumph der ohnmächtigen Freiheit schien sich hier zu vollziehen", schreibt ihre Schwester Inge Scholl später, "und die Nachricht davon lief wie ein Frühlingswind durch die Gefängnisse und KZs". Beim Abschied sagt Sophie ihrer Mutter: "Wir haben alles, alles auf uns genommen ... Das wird Wellen schlagen." Eine letzte Begegnung wird den drei Verurteilten noch vor der Hinrichtung gewährt. "Ich habe keinen Hass, ich habe alles, alles unter mir," sagt Hans, und Christoph Probst, der dritte im Bunde: "Ich wusste nicht, dass Sterben so leicht sein kann .. In wenigen Minuten sehen wir uns in der Ewigkeit wieder."

Als erste wird die 22-jährige Sophie abgeführt. Sie geht furchtlos und gelassen. Ihr Bruder Hans ruft, ehe er sein Haupt auf den Block legt, mit so lauter Stimme "Es lebe die Freiheit!" dass es durch den Gang hallte. Nach kurzer Zeit erfolgten weitere Verhaftungswellen. Die nationalsozialistischen Machthaber werten den vorwiegend ethisch begründeten Appell an das Gewissen des Einzelnen und den Protest gegen die Kriegführung sowie gegen den Massenmord an den Juden Europas als politisches Schwerverbrechen. Alexander Schmorell, Willi Graf und Kurt Huber werden einige Monate später hingerichtet.

Im Herbst 1943 zerschlägt die Gestapo auch die Hamburger Gruppe der Weißen Rose. In den folgenden Jahren werden noch weitere zehn Menschen aus dem Umfeld der Weißen Rose zum Tode verurteilt und hingerichtet, ohne Urteil erschossen oder kommen in der Haft ums Leben.

© BPA/Richard von Schirach