Erich Emil Kästner
23. Februar 1899 Dresden, + 29. Juli 1974

Mir tun nur die Kinder leid.
So nette Kinder!
Und immer müssen sie die Kriege und Revolutionen
und Streiks mitmachen,
und dann sagen die Großen noch, sie hätten alles nur getan,
damit es den Kindern später einmal besser ginge...
(1949)

Erich Kästner wurde als einziges Kind des Sattlermeisters Kästner und seiner Frau Ida in der sächsischen Residenzstadt Dresden geboren. Erst viele Jahre später wird das lang gehütete Geheimnis gelüftet, dass sein leiblicher Vater der Königlich-Preußische Sanitätsrat Emil Zimmermann ist. Vater Kästner verliert wegen der Wirtschaftskrise seine Existenz als selbständiger Sattlermeister und muss sich als Lohnarbeiter in einer Kofferfabrik anstellen lassen. Sein Einkommen reicht für die Familie jedoch kaum aus und Erichs Mutter sieht sich gezwungen, durch Untervermietung und Heimarbeit zum Lebensunterhalt beizutragen. Um die Ausbildung "ihres" Sohnes zu sichern, der Volksschullehrer werden soll, lässt sie sich noch mit 35 Jahren zur Friseuse ausbilden. Erich soll ein perfekter Sohn werden.

Tatsächlich wird er ein sehr guter Schüler. Eifersüchtig hält Ida ihren bedächtigen Mann von der Erziehung des Jungen fern. Nicht selten findet der Vater abends einen Zettel vor, auf dem ihm mitgeteilt wird, dass Mutter und Sohn ins Theater gegangen sind. Erich fühlt sich mit zunehmendem Alter für den Familienfrieden und die oft depressive und selbstmordgefährdete Mutter verantwortlich, deren "Schutzengel" er wird: "Meine Mutter hatte nur eine Karte, auf die sie setzte, und das war ich". Diese symbiotische Beziehung blieb bis zu ihrem Tod bestehen.

1917 wird Kästner zum Militärdienst eingezogen. Nach Kriegsende besucht er 1918 den Abschlusskurs des Lehrerseminars in Dresden, gibt jedoch den ungeliebten Berufsweg auf: "Ich bin kein Lehrender, ich bin Lernender". Er holt das Abitur mit Auszeichnung nach und studiert dank des "Goldenen Stipendiums der Stadt Dresden" in Leipzig, Rostock und Berlin Philosophie, Geschichte und vor allem Germanistik. Kästner arbeitet gleichzeitig als Werkstudent und als Journalist. 1922 erhält er nach der Veröffentlichung einer Satire auf die Inflation im "Leipziger Tageblatt" die Stelle eines Redakteurs für die drei Magazine des Verlages. Bald wird er zum zweiten Feuilletonredakteur und Theaterkritiker der "Neuen Leipziger Zeitung" befördert, doch auch in auswärtigen Blättern wie der Vossischen Zeitung und dem Berliner Tageblatt erscheinen seine Artikel. 1925 beendet er seine Doktorarbeit über "Die Erwiderungen auf Friedrichs des Großen Schrift "De la littérature allemande". Als er 1927 eine lyrisch-erotische Travestie zu Beethovens 100. Todestag schreibt, wird Kästner Ziel einer Kampagne nationalistisch-konservativer Kreise, die am Ende zu seiner Entlassung führt. Er zieht nach Berlin, wo er schnell als Theaterkritiker und freier Mitarbeiter mehrerer Zeitungen Fuß fasst. Wöchentlich wird ein Gedicht von ihm veröffentlicht. Die 1928 verlegte Sammlung "Herz auf Taille" stellt Kästner als politisch-satirischen Lyriker in eine Reihe mit Mehring, Ringelnatz und Tucholsky.

Bereits im darauffolgenden Jahr erscheint das Buch, das ihm anhaltenden Ruhm einträgt - der Roman für Kinder "Emil und die Detektive", mit dem er eine neue Art von realistischer Jugendliteratur durchsetzt. Zusammen mit Billy Wilder und Emmerich Preßburger schreibt er 1931 auch ein Drehbuch nach diesem Stoff. Es folgen in diesen für Kästner hochproduktiven Jahren weitere Gedichtbände ("Ein Mann gibt Auskunft", "Gesang zwischen den Stühlen"), das erfolgreiche Kinderbuch "Pünktchen und Anton" sowie "Fabian". 1932 veröffentlicht er "Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee" und später "Das fliegende Klassenzimmer".

Kästner gehörte zu den bekanntesten linksliberalen Schriftstellern der späten Weimarer Republik. Seine pazifistische Überzeugung, seine Warnungen vor der drohenden Diktatur der Nationalsozialisten und vor einem neuen Krieg führten dazu, dass seine Bücher am 10.5.1933 gemeinsam mit denen anderer Autoren auf dem Berliner Opernplatz verbrannt wurden. Das Drehbuch zu "Münchhausen" durfte er noch unter Pseudonym beenden, danach erhielt er von den Nationalsozialisten ein völliges Publikationsverbot.

Kästners Popularität bleibt auch in der Nachkriegszeit ungebrochen. Als sich 1949 in Göttingen ein gesamtdeutsches PEN-Zentrum konstituiert, übernimmt Kästner zusammen mit dem späteren Kulturminister der DDR, Johannes R. Becher, das Präsidium. Doch zwei Jahre später kommt es zum Bruch, und Kästner wird zum Präsidenten des Westdeutschen PEN-Zentrums gewählt - ein Amt, das er über zehn Jahre lang ausübt, bevor er 1962 aus gesundheitlichen Gründen auf seine Wiederwahl verzichtet. Kästner erhält viele Auszeichnungen aus aller Welt, darunter 1957 den Büchnerpreis und 1960 die Hans-Christian-Andersen-Medaille. Sein literarisches Ansehen gründet sich indes vor allem auf seine zwischen 1929 und 1933 publizierten Kinderbüchern, Erzählungen und Gedichten.

In den 50er Jahren erscheinen Bearbeitungen volkstümlicher Stoffe, wie "Der gestiefelte Kater", "Münchhausen", "Die Schildbürger", "Don Quichotte" und "Gullivers Reisen", mit denen Kästner junge Leser an die Erwachsenenliteratur heranführen will. 1957 gibt er seine Kindheitserlebnisse für junge Leser unter dem Titel "Als ich ein kleiner Junge war" heraus, sein vielleicht berührendstes Kinderbuch, in dem er das kleinbürgerliche Alltagsleben im Kaiserreich anschaulich schildert und das gleichzeitig eine Huldigung an seine geliebte Heimatstadt Dresden ist, die am 13. Februar 1945 in Schutt und Asche versunken war.

Der bundesdeutsche Nachkriegsfilm greift viele seiner Stoffe auf – allein zwischen 1950 und 1957 erleben sieben Filme nach Kästners Werken ihre Uraufführung. Mit Ausnahme von "Emil und die Detektive" und "Pünktchen und Anton" schreibt er die Drehbücher selbst: "Das doppelte Lottchen, "Die verschwundene Miniatur", "Drei Männer im Schnee", "Salzburger Geschichten" und "Der kleine Grenzverkehr". Jeder dieser Filme wird ein Erfolg. Kritischere Filmstoffe wie "Die Konferenz der Tiere" und "Fabian" finden erst 1969 bzw. 1980 einen Produzenten.

Kästner selbst betrachtet das Theaterstück "Die Schule der Diktatoren" von 1956 als seine wichtigste Arbeit der Nachkriegszeit. Dem 1957 von den Münchner Kammerspielen uraufgeführten Stück, das Kästner eine "Komödie" nennt, ist jedoch kein Erfolg beschieden. "Trotz makabrer Szenen", schreibt seine Biographin Isa Schikorsky, "zeigt er eine harmlose Operettendiktatur, die kein wirkliches Erschrecken erzeugt." Erich Kästner unterstützt in diesen Jahren engagierte linke Autoren wie Martin Walser und Ingeborg Bachmann und kämpft unbeirrt für seine politischen Überzeugungen. So wird er Mitglied im Komitee "Kampf dem Atomtod", protestiert gegen die Verjährung von Naziverbrechen, nimmt an Ostermärschen teil und verfasst 1968 einen Text gegen den Vietnamkrieg.

1957 wird von seiner Geliebten Friedel Siebert sein Sohn Thomas geboren, der später auch seinen Namen annimmt. Die Vaterschaft gesteht er seiner langjährigen Lebensgefährtin Luiselotte Enderle erst drei Jahre später. Er versucht, ein "Arrangement" herbeizuführen - doch das erhoffte Familienglück wird zur Zerreißprobe zwischen den drei Erwachsenen und dem Kind, aus der sich Kästner nicht lösen kann oder will. 1961 wird bei ihm Tuberkulose diagnostiziert und er zieht sich zu langen Sanatorienaufenthalten ins Tessin zurück. Aus dieser Zeit stammt das Drehbuch zu "Liebe will gelernt sein" und das Bühnenstück "Emil und die drei Zwillinge". 1966 kehrt er scheinbar genesen wieder nach Deutschland zurück. Das Familienexperiment mit der Mutter seines Sohnes scheitert, und er zieht wenig später endgültig zu seiner langjährigen Lebensgefährtin und Biographin Luiselotte Enderle. Kurz nach seinem 75. Geburtstag erfährt Kästner, dass er Speiseröhrenkrebs hat. Eine Behandlung lehnt er ab. Am 29. Juli 1974 stirbt er als ein im Osten wie im Westen anerkannter Autor in München.

© BPA/Richard von Schirach