Hedwig Bollhagen wächst mit zwei Brüdern in Hannover auf, ihren Vater verliert sie schon im Alter von drei Jahren. Der musischen Mutter gelingt es, den Kindern eine glückliche Kindheit mit vielen geistigen Anregungen zu bereiten. Schon als kleines Mädchen entwickelt Hedwig Bollhagen ihre lebenslange Liebe zu den "Töppen": "Es muss wohl eine angeborene Vorliebe gewesen sein, denn ich hatte schon immer gerne so getöpferte kleine Puppengeschirre gehabt. Da durfte eigentlich keiner mit spielen - außer ich selber".
Als junge Frau bekommt sie Gelegenheit, einen von der Töpferin Gertrud Kraut eingerichteten Kurs für Zeichnen, Basteln und Kunstbetrachtung zu besuchen. "In ihrer Begeisterung für die Töpferei, ihrer menschlichen Güte und Aufgeschlossenheit und heiteren Selbstbeherrschung" ist sie ihr "bis heute Beispiel und Vorbild". 1925 gelingt es Hedwig Bollhagen, eine Lehrstelle in einer kleinen Bauerntöpferei in Hessen zu ergattern, wo sich sie sich tagsüber mit Drehversuchen "abquält" und erst danach mit dem Malhörnchen Teller und Schüsseln bemalen darf. Mit wahrer Begeisterung erhält sie an der keramischen Fachschule in Höhr-Grenzhausen von Dr. Berdel und Dr. Bollenbach ihre theoretische Ausbildung. An dieser Schule, die auch heute noch zu den profiliertesten und vielseitigsten Fachschulen Deutschlands zählt, absolviert sie fünf Semester und macht in den Ferien Praktika.
Nach dem Abschluss der Fachschule im Jahre 1927 gelingt es ihr, in die Steingutfabrik Velten-Vordamm von Dr. Hermann Harkort einzutreten. In dem vielseitigen keramischen Betrieb werden Gebrauchsgeschirr aus Steingut und Fayence, Garten- und Baukeramik, Stapelware für den Export und Einzelstücke von Bildhauern und Malern hergestellt. Ein Kreis "schöpferischer und eigenwilliger Menschen", den Dr. Harkort herangezogen hatte, hilft der Neunzehnjährigen, eigene Maßstäbe zu entwickeln. Besonders fasziniert sie die "unbeschreiblich begabte Charlotte Hortmann", die das Steingut in einer reichen Palette an Unterglasuren und die Fayencetechnik mit der schönen, fliessenden Weichheit des Pinselstriches wieder zur Geltung kommen lässt, aber auch Gerhard Marcks, der sich mit Plastiken und Malerei beschäftigt.
Als 1931 neue Zollschranken den Export schlagartig unmöglich machen, muss die renommierte Steingutfabrik Velten-Vordamm, wie viele andere auch, den Betrieb einstellen. Hedwig Bollhagen geht einige Jahre auf Wanderschaft. Beseelt von dem Wunsch nach einer eigenen Werkstatt, will sie möglichst viele Betriebe kennen lernen und arbeitet in der Staatlichen Majolikamanufaktur Karlsruhe, bei Rosenthal in Neustadt (bei Coburg), in Garmisch bei Wilhelm Kagel und als "Ladenmädchen" bei Bruno Paul und Tilly Schloemann in Berlin, wo sie handwerklich und industriell gefertigte Möbel, Stoffe, Silber, Schmuck und Keramik verkauft. Schließlich gelangt sie nach Frechen in die Keramikwerkstatt "Ooms" der Steingutwerke Kalscheuren, wo sie als "Entwerferin" für Vasen und Schalen und Betriebsassistentin arbeitet.
Einige der besten Dreher sowie Steingut- und Fayence-Malerinnen aus der in Konkurs gegangenen Fabrik Velten-Vordamm sind bereit, in den "Hedwig-Bollhagen-Werkstätten für Keramik mitzuarbeiten. Am 1. Mai startet die Produktion in Marwitz und auf der Leipziger Herbstmesse 1934 kann sie schon die erste umfangreiche Auswahl von Gebrauchsformen und Dekors vorstellen. Hedwig Bollhagen war ständig bemüht, "einfache, zeitlose Dinge" zu produzieren und stellt den größten Teil der damals produzierten Modelle noch heute her.
Während des Krieges müssen die "Hedwig Bollhagen -Werkstätten" einfaches Gebrauchsgeschirr wie Terrinen und Schüsseln herstellen, sowie Keramikgehäuse für elektrische Luftschutzkelleröfen. Selten ist noch die Fertigung von Einzelstücken möglich. Nach Kriegsende scheidet der im Westen verbliebene Dr. Schild als Teilhaber aus und Hedwig Bollhagen führt den Betrieb trotz schlechten Materials und fehlender Ersatzteile fort. Dennoch gelingt es ihr immer wieder, schöne Einzelstücke nach Crodels Entwürfen entstehen zu lassen.
Neben der Produktion von Gebrauchskeramik macht Hedwig Bollhagen Baukeramik, Baukunst und Restaurierungsprojekte zu neuen Tätigkeitsfeldern ihrer Werkstätten, die für die Restaurierung gotischer Backsteinkirchen und -klöster, von Schinkel-Bauten und klassizistischen Gebäuden Keramikteile liefern. Viele zum Teil unbekannte Künstler nutzen dabei die Möglichkeiten der Werkstätten, um architektonische Schmuckelemente bis hin zu kompletten Fassadengestaltungen auszuführen. Das reicht von einzelnen Architekturelementen, wie den Amphoren für das Grab Giacomo Meyerbeers in Berlin, bis hin zu ganzen Fenstermaßwerken, wie beispielsweise dem Südfenster der Friedrichswerderschen Kirche in Berlin mit 1200 Formstücken in ca. 400 verschiedenen Typen.
1972 werden die Hedwig-Bollhagen-Werkstätten verstaatlicht - und erst einundzwanzig Jahre später gelingt Hedwig Bollhagen mit Unterstützung ihres Geschäftsführers Wolfgang Scholz die schwierige Reprivatisierung. Sie selbst arbeitet in dem Betrieb, der 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, als künstlerische Leiterin: "In meinen Entwürfen zu Gefäßen versuche ich, immer sparsamere Mittel zu verwenden. Ich bemühe mich, der 'Form ohne Ornament' die Ehre zu geben, die ihr gebührt, riskiere aber auch, Formen zu probieren, die durch ein Dekor gesteigert und bereichert werden wollen."
© BPA/Richard von Schirach
Hedwig Bollhagen, die alle wechselvollen Epochen ihres Zeitalters - Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, DDR und Bundesrepublik - miterlebt hat, ist als "dienstälteste" Keramikerin Deutschlands stets ihrem Konzept treu geblieben: Gebrauchsgeschirr zu fertigen, das bezahlbar ist und einem hohen ästhetischen Anspruch genügt. Die Tassen, Teller, Schüsseln und Kannen mit dem Signum "HB" sind einfach und klar in der Form, modern aber nicht modisch. Es sind als "Unikate in Serie" Liebhaberstücke, die täglich benützt werden.

Hedwig Bollhagen hatte den Ehrgeiz, "Gebrauchsgeschirr machen, das billig in den Handel kommen konnte und dadurch dem Käufer die Möglichkeit bot, von den wirklich sehr geschmacklosen, verlogenen Geschirren, die die Porzellan- und Steingutindustrie auf den Markt brachte, abzurücken." Sie malt aber auch Einzelstücke, modelliert, dreht und entwirft Serienformen. Ihr Interesse gilt nicht nur dem gesamten Ablauf der Herstellung, sondern sie befasst sich ebenfalls mit organisatorischen Fragen, insbesondere mit Arbeitszeitstudien und Überlegungen zur Akkordlohnbildung.

1934 erwirbt sie einen stillgelegten keramischen Betrieb in Marwitz bei Velten, der ihr die verlockende Aussicht bietet, ihr Programm eines anspruchsvollen und preisgünstigen "Gebrauchsgeschirrs" umzusetzen. In dieser auch wirtschaftlich schwierigen Zeit scheint ihr der Verkauf von serienmäßig hergestellter Gebrauchskeramik leichter zu sein, als solvente Käufer für teure Einzelstücke zu finden. Sie gewinnt als Teilhaber Dr. Heinrich Schild, einen Volkswirt, der es ihr möglich macht, sich ganz auf die Produktion zu konzentrieren.

Frühere Mitarbeiter aus Velten-Vordamm wie der zeichnerisch sehr begabte Werner Burri oder Charles Crodel stellt sie als freie Mitarbeiter ein. Zusammen werden alle denkbaren keramischen Techniken wie Fayence-, Unterglas- und Goldmalerei, Ritztechnik, Plastiken, Stempelreliefs und Gipsschnitte ebenso erprobt wie Bau- und Gartenkeramik. Durch das "wirkliche Künstlertum und die heitere Sicherheit" Crodels, seine Fähigkeit, intensiv zu sehen und sein großes Wissen, erhält Hedwig Bollhagen ein sicheres Gespür für die unbedingte Einheit von Form und Dekor.

In der DDR wurde Hedwig Bollhagen bald zur angesehensten Keramikerin, sie errang zahlreiche internationale Auszeichnungen und Ausstellungserfolge. Goldmedaillen erhielt sie z.B. 1957 für ein Steingut-Service auf der Internationalen Handwerksmesse in München und 1962 in Prag für eine kleine Vase mit schwarz-weiß Engobe Ritzdekor. Keramik aus den Hedwig-Bollhagen-Werkstätten blieb in der DDR bis 1989 stets Mangelware.